Ich, Martje Salefsky (aus Ostfriesland), arbeite seit 2014 in Esens und Umgebung musiktherapeutisch mit Kindern, Erwachsenen und alten Menschen. Die Musiktherapie verstehe ich als Psychotherapie, die erlebte Beziehungen hörbar macht, in der Beziehungen gestaltet werden und Resonanzräume entstehen können. Auf kreative Weise versuchen wir, ein Team aus Musiktherapeutinnen und Musiktherapeuten, mit Musik in tiefere Schichten vorzudringen als es oft mit Worten möglich ist. Musik auf Rädern - so heißt das ambulante Therapieangebot, das Musik und Musiktherapie zu Menschen ins vertraute Umfeld nach Hause oder auch in Einrichtungen bringt.
Bei meinen musiktherapeutischen Besuchen bin ich gut ausgerüstet, um auf verschiedene Art und Weise Kontakt aufzunehmen und in Beziehung zu treten. Dafür nutze ich Musikinstrumente, mit denen wir gemeinsam in Austausch und Ausdruck kommen, und einen reichhaltigen Liederschatz. Die verwendeten Instrumente bringe ich mit. Beliebt sind Akkordeon und Gitarre, aber auch weniger bekannte rhythmische, atmosphärische, wohlklingende Instrumente. Abgestimmt auf die bestehenden Bedürfnisse setze ich das Medium Musik individuell und situativ ein: die Bandbreite reicht vom leisen Summen oder dem Singen und Spielen für den Klienten bis zum gemeinsamen Spiel mit Stimme und Instrumenten. Ebenfalls individuell entscheidet sich, ob die Therapie nonverbal ist oder (bzw. in welchem Umfang) das Gespräch, das Verbale wichtiger und notwendiger Anteil des therapeutischen Angebotes sind.
Musiktherapie mit alten Menschen
Biografisch relevante Musikerfahrungen sind resistent gegen das Vergessen. Die Fähigkeit zur Wahrnehmung von Musik bleibt über den gesamten Verlauf der demenziellen Erkrankung erhalten - daher ermöglicht es Musik, auch in den fortgeschrittenen Stadien der Demenz eine Verbindung zur eigenen Vergangenheit und Herkunft zu schaffen. Musik aktiviert Emotionen und damit verbunden Erinnerungen. Klänge, Bewegungen, Instrumente - nahezu alles kann Spuren in die Vergangenheit legen und Situationen aus unterschiedlichen Lebensphasen wiederbeleben und vergegenwärtigen.
Zu Beginn der Erkrankung wirkt individuell bedeutsame Musik, in dem sie Sicherheit von etwas Vertrautem wiederfinden lässt. Der Verlust von Orientierung ist allgegenwärtig, der Alltag des demenziell veränderten Menschen ist voller Unsicherheiten. Im Verlauf der Erkrankung, wenn die Sprache zunehmend verloren geht, wird die Improvisation zu einem wichtigen Element der Musiktherapie. Die Musiktherapie bewegt sich dann zwischen den Polen "Festhalten" in Form des Lebensrückblicks und "Loslassen" in Form des Abschiednehmens. Eine vorwärts führende, offene Bewegung kann angeregt werden und die Erstarrung in der Demenz lösen.
Im fortgeschrittenen Alter kann sich neben einer demenziellen Veränderung weitere Erkrankungen entwickeln. Zu diesen zählt beispielsweise der Schlaganfall, der eine Aphasie, den (vorübergehenden) Verlust von Sprache, zur Folge haben kann.
Die Potenziale der Musiktherapie in der Behandlung von Menschen mit einer Aphasie liegen darin, dass auch ohne Sprache Kommunikation stattfinden kann, dass mit und durch die Musik die Sprache und das Sprechen geübt werden kann und dass die sekundären (psychischen) Folgen (emotionale und soziale Probleme, Identitätsverlust, Traumabewältigung) mitbehandelt werden können. Manche Menschen mit Aphasie sind zunächst völlig verstummt oder möchten nicht sprechen, weil sie sich für ihre veränderte Sprache schämen. Im Vorfeld logopädischer Förderung oder als begleitenden Maßnahme dazu bietet Musiktherapie einen geschützten Rahmen zum Ausprobieren der eigenen Stimme ohne Leistungsanforderung: Denn es muss nicht ein vollständiges Wort produziert werden, sondern es reicht ein Ton oder ein Laut. Meistens fällt es den Patienten leichter, die Stimmt lautierend oder in einem musikalischen Kontext zu benutzen als bei dem Versuch, ein Wort zu formen. Ein weiteres erstaunliches Phänomen macht sich die Musiktherapie bei der Behandlung von Aphasie zu nutze: Trotz sehr geringer Sprachfähigkeit ist es vielen Betroffenen dennoch möglich zu singen; oft ist sogar ein Lied mit dsem kompetten Text fehlerfrei abrufbar. Das Hören der eigenen Stimme und die gelungene Sprachproduktion können erlösend wirken. Bekannte Lieder bilden außerdem eine Brücke zwischen Früher und Heute, zwischen Gesund und Krank, wird somit identitätsstiftend und helfen bei der Krankheitsverarbeitung.
Somit kann Musiktherapie im rehabilitativen Kontext helfen, spielerisch und unbelastet einen Zugang zum noch vorhandenen Sprachpotential zu finden und die Lernmotivation für Sprachtherapie zu fördern. Wenn die Sprachtherapie nicht oder noch nicht den erhofften Erfolg bringt, geht es darum, kompensierende Kommunikationsformen zu finden. Insbesondere in der Musiktherapie mit Wachkomapatienten / Patienten im Apallischen Syndrom stellt die Musik ein nonverbales Medium dar, mit dessen Hilfe sich Musiktherapeutin und Patient begegnen können. In der Musik knüpft die Musiktherapeutin an den Zustand des Patienten an, ob er aufgewühlt, traurig, fröhlich, müde usw. ist. Auf diese Weise in Kontakt zu treten, Resonanz zu bekommen und verstanden zu werden, ermöglicht dem Klienten Erlebnisse von Zugehörigkeit und Gemeinschaft und hilft, Angst, Verzweiflung, Resignation und Passivität zu überwinden. Mit musikalischen Übungen kann gelernt werden, noch verbliebene Stimm- und Sprachreste möglichst expressiv zu gebrauchen. Sich auf diese Weise Ausdruck zu verschaffen, führt zu emotionaler Entlastung und Entspannung. Die Freude am spielerischen Ausdruck unterstützt die Orientierung an und Entwicklung von verbliebenen Ressourcen anstelle einer Konfrontation mit dem sprachlichen Unvermögen.
Mithilfe von Musik und Musiktherapie können auch generationenübergreifende Begegnungen geschaffen werden. Neben einer musiktherapeutischen Begleitung im Falle einer Erkrankung kann mit Musik eine Annäherung zwischen unterschiedlichen Generationen gelingen. Häufig befinden sich Altenpflegeeinrichtungen in unmittelbarer Nachbarschaft zu Kindertagesstätten oder Grundschulen. Trotzdem sind die Lebenswelten von alten und jungen Menschen oft weit voneinander entfernt. So sind generationenübergreifende Kontakte selten, es bestehen Berührungsängste und es gibt wenig Gelegenheit und Interesse voneinander zu profitieren.